Militärzeit - Prolog

Ich wurde gemustert, eingezogen, und bereits als wir Schlange standen, um die berühmten Impfungen über uns ergehen zu lassen, machte ich Bekanntschaft mit einer Menge Schwächlingen und Simulanten. Mein Vordermann sackte bereits zusammen, noch bevor er an der Reihe war, um die berüchtigte Impfung zu erhalten. Wir waren zwar in Luxemburg eingemustert und eingekleidet worden, doch dann ging es sofort für sechs Wochen Drill nach Bitburg in die Kasernen, wo ich einer A (?) Kompanie angeschlossen wurde. Nach der Impfung, begann die Wirkung sich zu zeigen. Da wanderten bereits einige die es sehr arg gepackt hatte ab in die Erste Hilfe Station, andere blieben mit Fieber und Schüttelfrost im Bett liegen, doch erstaunlicherweise merkte ich glatt keine Nachwehen, so als ob ich gar nicht geimpft worden wäre.

 

In dieser Kompanie waren die Dienstuntauglichen oder, wie es kursierte, meistens Drückeberger, aber auch meine Minderwertigkeit. Doch hatten wir hochrangige Musikanten unter uns, so ein gewisser Pax aus Monnerich, der ausgezeichnet Saxofon spielte, die beiden hervorragend und virtuos spielenden Oboisten,Norbert Mattern und Fränz Summer, angehender Musikprofessor sowie einen Klarinettisten, dessen Namen mir entfallen ist. Mattern war eine weltweite Klasse für sich, der keinesfalls dem deutschen Oboisten Heinz Holliger nachstand. Er spielte zuletzt im Radioorchester von RTL. Heinz Holliger und Norbert Mattern sind übrigens Freunde. Man sagte sogar Mattern wäre noch einige Grade besser als Holliger. Doch, dieser entwickelte sich weiter zum Komponisten, was Norbert nicht zu interessieren schien. Wenn die genannten Musikanten sich an den Tisch setzten, um zu improvisieren, dann waren viele der Stubenfreunde begeistert. Sie spielten meistens klassische Musikstücke und selten etwas Moderne.

 

Das war schon nicht schlecht, wenn die Grundstimmung bereits zufriedenstellend war. Doch nicht alles sah so rosig aus. So werde ich einige der herausragenden Erlebnisse schildern, die ich bei meiner Militärzeit erlebt habe.

 

Die Kost war noch einigermassen geniessbar. Für manche aber war es Dreck und manche begannen sofort ab zu specken. Am meisten schienen aber jene am Essen auszusetzen, die wahrscheinlich nicht so gut zu Hause bedient wurden. Unter diesen Abspeckern befand auch ich mich, doch sicherlich mehr bedingt durch den tagtäglichen Drill, die sportlichen Tätigkeiten, die unsere Körper in ständiger Bewegung hielten.

 

Eine Episode vom Esstisch könnte ich hier vortragen. Es gab Kartoffelpüree mit Eiern, Spinat und weisse Sosse. Normalerweise stand dies auf der Freitagskarte, wenn es kein Fisch gab, der sowieso selten serviert wurde. Da gab es die berühmte Geschichte der Herausforderung zu einer Tat, die ungewöhnlich war. Am Tisch nebenan mäkelte einer an seinem „Frass“ wie er ihn bezeichnete und meinte: „Traue ich mir das ganze Zeug zum Fenster hinaus zu schmeissen.“ Manch einer malte sich bereits die Folgen aus doch gab es jene, die ihn anfeuerten und ihn als Grossmaul bezeichneten, das sich nicht trauen würde. Er liess sich nicht zweimal bitten und schon flog der ganze Gamellen Inhalt zum Fenster hinaus und absolut unerwartet auf die Uniform eines Offiziers, der gerade vorbei ging. Da hätte man die ganze Bande sollen heulen hören. Ich ahnte, was sich anbahnte und verdrückte mich sofort, denn aus den Erfahrungen, die ich von meinem Bruder gesammelt hatte, würde es alle Anwesenden treffen, die den Missetäter angefeuerthatten.

 

Mit meinem geistigen Auge aber sehe ich noch einmal den stolz daher, eher paradierenden Offizier, dem auf einmal gekochte Eier um den Kopf flogen, Kartoffelpüree mit Sosse über die Khakiuniform und besonders apart hob sich der dunkelgrüne Spinat auf seiner Uniform ab. Das war Tarnung in höchster Vollendung, aber auf die amüsanteste Weise. Es wäre dem Offizier vielleicht auch zum Lachen gewesen, wenn nicht die ganze Meute innen und Aussen sich krümmte, vor Lachen und andauernd grölte vor Schadenfreude.

 

Das kurz darauf erfolgende Geschrei des Ge- und Betroffenen vernahm ich bis in die Toiletten, wohin ich mich wohlweislich sofort verdrückt hatte. Ich verspürte keinen Anlass, mich in der Nähe des Geschehens erblicken zu lassen. Und wie ich recht hatte. Der diensthabende Korporal musste alle Namen der noch anwesenden Soldaten notieren und am Tag darauf gab es Spezialdrill und auch Spezialcorvée, die darin bestehen konnte, dass man Treppen waschen, Toiletten reinigen,Kartoffel schälen oder irgendeine andere ungemütliche Beschäftigung verrichten musste.

 

 

 

Das Bataillonsfest

 

 

Den Abschluss der Drillzeit feierte man normalerweise mit einem Bataillonsfest, das mit einem Hochamt, Te Deum und festlichem Fahnenaufmarsch bereits mit musikalischer Begleitung der Militärmusik am frühen Morgen begann.

 

Die Messe wurde von Soldaten gesungen. Ich hatte mich rechtzeitig zu diesen Sängern gemeldet, die von einem angehenden Seminarist geleitet wurden. Natürlich waren auch unseren tüchtigen Musikanten dabei Schwierigkeiten hatte man bei der Suche nach einem Organisten.

 

Die Vorbereitungen begannen bereits rechtzeitig. Man hielt eine Umfrage wer ein Instrument spielen würde, wer singen wollte und wer die Messe dienen wollte. Es gab nur wenige, die vorgaben Klavier spielen zu können, denn ein Klavierspieler konnte möglicherweise den Organisten ersetzen. Dummerweise mussten diese begabten Musiker auch das Klavier in den Probesaal transportieren. Auf die Orgel steigen wollte aber keiner der Pianisten. Nur einem, der immer nur beim Orchestrieren der bereits erwähnten Musikanten zuhören musste, war René Marnach. Der Seminarist hatte ihn dazu überredet, dennoch zu versuchen. Doch Marnach wollte nicht, weil er wie es schien noch überhaupt keine Kirche von innen gesehen, geschweige einer Messe beigewohnt hatte. Aber die anderen Musiker wussten, dass er ein talentierter Musikant war und so kam es, dass er sich bewegen liess, auf der Orgel zu spielen, unter Voraussetzung dass er sich doch länger mit dieser Königin der Instrumente auseinandersetzen, also probenmüsse. Der Dirigent versuchte ihm jede Verunsicherung zu nehmen,er ihm den ganzen Ablauf des Hochamtes aufzeichnete und ihm versprach, immer wieder den passenden Einsatz zu geben. Die Proben verliefen sehr gut und schnell stellte es sich heraus, dass diese zusammengewürfelten Sänger keine schlechte Sängergruppe ausmachten. Auch der Pianist schien sich wohlzufühlen. Inzwischen hatten wir erfahren, dass er mit Religion sehr wenig am Stiel hatte. Er war ein Pianist, der ständig in einer der hauptstädtischen Bars für musikalische Unterhaltung sorgte.

 

Die Messe verlief reibungslos und sehr feierlich, in der herrlich geschmückten Kirche von Bitburg. Der Gesang war aussergewöhnlich. Die Einlagen der Musikanten aussergewöhnlich perfekt. Der Organist hatte sich gut eingelebt, in seine herausragenden und gut trainierten Einlagen, bis es zur Kommunion kam. Niemand hatte erwartet, dass so viele Leute zur Kommunion gingen. Natürlich waren viele Familienangehörige zu Besuch und auch in der Messe. Die geprobtem Gesang- und Orgeleinlagen waren bereits erschöpft und man wollte absolut vermeiden, dass es still in der Kirche wurde, weil den Musikanten und Sängern der Stoff ausgegangen war. Der Seminarist feuerte den Organisten an, doch über Luxemburger Musikthemen zu improvisieren. Was uns da geboten wurde, war einfach fabelhaft, ja grandios. Marnach improvisierte Variationen über die Nationalhymne zu all möglichen bekannten feierlichen Themen, so als ob er Domorganist sei. Doch als er in seinem Rückenspiegel noch immer sah, dass kommuniziert wurde, da geschah das, was bis dahin niemand erwartet hatte. Aus seinen Improvisationen kristallisierte sich auf einmal der Karnevalschlager heraus: „Wir sind alle kleine Sünderlein.“

 

Ein Raunen ging durch die Kirche. Wir Sänger, auf der Emporeümmten uns und konnten dummerweise nicht laut lachen. Marnach schmunzelte und wechselte sogleich auf den „Hämmelsmarsch“, weil der Seminarist ihm ein schroffes Zeichen gegeben hatte, sofort mit dem Unfug aufzuhören.

 

Zum Abschluss der Messe servierte der talentierte Musiker eine mustergültige Toccata, worüber natürlich alle Anwesenden staunten und ganz besonders unsere professionellen Spieler. Super!

 

Das Fest dauerte den ganzen Tag. Es war auch ein Tanzzelt errichtet worden. Wie ich aber mit einem dunkelhäutigen Soldaten aus Spangdahlen zum Pistenmäher wurde, das möchte ich doch lieber für mich behalten. Nur eines möchte ich als Erklärung hinzufügen. Tanzen kann ich heute noch nicht.

 

Nach der Drillzeit wurden die Kasernen in Bitburg von uns Spunten geräumt und jeder wurde einer Kompanie zugeordnet. Ich hatte bereits bei der Musterung davon abgesehen als Reserveoffizier eingeschrieben zu werden, was eigentlich allen Studenten mit Abschluss angeraten wurde. So blieb ich ein 2. Klasse Muppi, wie man die Soldaten ohne Grad noch nannte.

Ich kam in das Militärlager von Kapellen, wo die Kompanie „das Genie“ zusammengestellt war.

 

Beim Genie in Kapellen

 

 

Es waren nur noch zwei andere Abiturienten als einfache Rekruten, in dieser Kompanie. Die Korporäle, Sergeanten und Offiziere waren alles gute Bekannte, die meisten sogar Schulkollegenvon mir, sogar hatte ich zu manchen von ihnen eine recht gute Beziehung, doch riet man mir mich zu hüten die persönlichen Beziehungen zur Schau zu stellen.

 

„Das Genie“ entsprach keinesfalls den Ansprüchen, die man normalerweise an eine solche Abteilung stellt. Die meisten der Soldaten hatten wahrhaftig keine Schulbildung und es stellte sich bald heraus, dass fast nur Nieten und Analphabeten zusammengewürfelt waren und im wahrsten Sinne des Wortes, im Ernstfall nur Kanonenfutterabgeben könnten. Von Genie war keine Spur.

 

Wir lernten Brücken bauen, machten auch Nachtübungen in Trier-Euren an der Mosel, wo wir eine Pontonbrücke über die Mosel bauten. Es war zwar eine schwere Arbeit, immerhin aber interessant. Auch versuchten wir einmal in stockdunkler Nacht, geräuschlos ans andere Ufer der Mosel zu gelangen. Nur einige Leuchten auf der Landstrasse spiegelten sich im fliessenden Wasser. Das hätte fast geklappt, wenn nicht Ambroise, der nicht alle Sinne beisammenhatte und dazu auch noch nicht schwimmen konnte, zu schnell aus dem Boot ins Wasser geglitten wäre und sofort auf Tauchstation ging. Zum Glück hielten seine Kameraden ihn fest bei der Hand, wobei sie ihn zum Ufer geleiten. Anscheinend schritt er dabei auf dem Flussgrund und schnappte nach Luft, wodurch das besonders in der Nacht gut vernehmbare Blubbern der Luftblasen diesen geräuschlos geplanten Landeversuch zunichtemachte.

 

Hätten seine Kameraden ihn nicht mit den Händen geführt, so wäre er sicherlich abgetrieben worden und ertrunken. Natürlich gaben wir den Offizieren die Schuld, weil diese davon ausgegangen waren, dass jedermann schwimmen könne.

 

Beim Abbau eines Pontons hatten wir bereits alle Eisenstücke auf die Lastwagen gepackt, da fiel ein letztes flaches Verbindungsstück, das die Boote zusammenhielt, nahe am Ufer ins Wasser. Um diese komplette Ausrüstung einer solchen Konstruktion aber beisammen zu behalten, damit im Notfall nichts fehle, musste dieses Stück unbedingt aus dem Wasser gehoben werden.

 

Es war in der Winterzeit und die Nacht brach schnell herein, da begannen die Offiziere zu feilschen. Das erste Gebot war zwei volle Tage Sonderurlaub für denjenigen, der das Eisenstück vom Grund heraufholt. Es kam mir vor wie in dem Gedicht „Der Taucher“ ...“Wer wagt es zu tauchen in diesen Schlund….“. Es meldete sich keiner freiwillig. Bei einem zweiten Versuch wurde die Freizeit auf drei und vier Tage verlängert. Niemand war bereit den Schritt zu wagen, denn das Wasser war dazu auch noch eiskalt. Als das Angebot bei einer Woche Spezialurlaub auch noch erfolglos geblieben war, da räusperte sich einer der deutschenMänner, die das Material in den Uferhallen instand hielten. Er verschwand in der Werkshalle und erschien kurz darauf in einem langen schwarzen Mantel, wie die SS ihn zu tragen pflegten. Beim Ufer angekommen legte er den Mantel ab und stand da in seiner Badehose. Dann schritt er die Schiffs - Verladerampe hinunter bis zur Stelle, wo das Stück ins Wasser gefallen war. Tief einatmend taucht er ab in die Fluten und es dauerte über durchschnittlich lange, bis wir ihn vorne an der Rampe auftauchen sahen. Man hatte bereits geglaubt es wäre ihm ein Unglück passiert. Noch bevor Rettungsmassnahmen organisiert werden sollten hatte er glücklicherweise die Wasser Oberfläche wieder erreicht. Das Eisenstück war so schwer, dass niemand damit einfach hätte, auftauchen konnte. Er musste unter Wasser den Weg zurücklegen, bis dahin wo die Laderampe den Flussboden berührt. Nur dort konnte er das Eisenstück, das gerne 40 – 60 kg schwer war an die Oberfläche bringen.

 

Natürlich klatschten wir alle in die Hände vor dieser exemplarischen Leistung. Er aber liess das Verbindungsstück demonstrativ vor den Offizieren auf den Boden fallen, schlüpfte in seinen langen Mantel und verschwand in der Uferhalle.

 

Es wurde noch lange über diesen Zwischenfall debattiert, wie man ihn hätte vermeiden können, welche andere Möglichkeiten es gegeben hätte das Eisenstück zu heben. Der deutsche Hallenbeschäftigteaber wurde uns allen ein Vorbild, das aber kaum einer nachahmen würde.

 

In Capellen lernten wir auch mit Minen umgehen. Natürlich waren es nur leere Minenkörper, mit denen wir hantierten. Löcher in die Erde sprengen, um eine grosse Wasserlache abziehen zu lassen und noch vieles mehr erlernten wir praktisch und in theoretischen Stunden.

 

Einmal wurde uns aufgetragen mit den Minensuchgeräten, die von der Obrigkeit vergrabenen Minen aufzuspüren und auszugraben. Das alles verlief reibungslos. Als diese praktische Übung vorüber war, oblag es denSoldaten in den verschiedenen Baracken diese Minen zu säubern. Da ich die Aufsicht in der ersten Baracke hatte, wunderte es mich, dass die Insassen, die mit Wasser durch und durch gespülten Minenkörper auf die Ofenplatte stellten, um diese dort zu trocknen. Intuitiv nahm ich eine rohrähnliche Mine in die Hand und drehte sie um,um zu schauen, ob noch Wasser in deren Innern vorhanden war. Ich erschreckte nicht schlecht, als mit dem Wasser, auch eine gehörige Portion Pulver herauslief, das wahrscheinlich im Innern festgeklebt war. Ich gab sofort Alarm alle Minen von den Öfen zu nehmen und rannte zu meinem Freund dem Reserveoffizier, um ihm den Vorfall vorzutragen. Die Aufregung, die alsdann durch die Kompanie ging, war durchaus berechtigt und persönlich sagte ich ihm, dass ich ab sofort nicht mehr mit solchen Minen spielen werde. Daraufhin verdonnerte er mich persönlich dazu alle benutzen Typen mit Taschenlampe und jeglichem Handwerkszeug zu untersuchen, ob da keine Gefahren mehr vorhanden waren. In allen Minen wurden neue Sicherheitssplinte angebracht, damit man auch sicher damit hantieren konnte. Es stellte sich bei dieser Inspektion heraus, dass sogar noch eine der Minen einen Zünder besass, den man wahrscheinlich übersehen hatte, oder der nicht gelöst werden konnte.

 

Das brachte mir eine Verbesserung meines Taschengeldes ein. Ich wurde sofort als Soldat Erster Klasse nominiert und alle Mitinsassen dieses Lagers hatten jetzt ein Auge auf mich. Das tat natürlich gut.

 

Der Winter brachte tiefe Temperaturen. Bei Barfrost raste ein eisiger Wind über die weiten Flächen bei Capellen und am Morgen waren sämtliche Wasserleitungen in der Baracke nicht nur gefroren, sogar aufgeplatzt und so wie das Wasser im Strahl herausspritzte, so gefror es auch in der Luft, was ein Bild zauberte, als ob man in einem Kristallpalast war. Wer zur Toilette musste, war gezwungen den genauen letzten Moment ab zu warten, bis zu dem das Geschäft noch aufgehalten werden konnte, dann hiess es rein und los, abwischen und schnell vom Holz herunter, noch bevor der Hintere fest angefroren war. Die Zahl der Soldaten in den Baracken schrumpfte. Viele wollten in einem geheizten Zimmer übernachten und so wurden es immer beschwerlicher genügend Kohlen oder Koks herbeizuschaffen und die beiden Öfen unter hoher Temperatur zu halten. Das genügte aber keinesfalls, denn am Morgen war es üblich, dass man mit Raureif im Gesicht erwachte. Das Unterhemd im Spinnt, war wie ein Brett gefroren und die Schuhe mussten wir mit dem Gewehrkolben vom Spinntboden losschlagen, wo sie fest angefroren waren. Damals sprach man von einem Kälterekord und die gemessenen Temperaturen lagen laut Zeitungsberichten bei-37° Celsius. Eis vom Bach wurde auf den Öfen geschmolzen, um benutzt zu werden für die allmorgendliche Toilette. Die meisten, die mit schweissnasser Unterwäsche zu Bett gingen, hatten Probleme, um warm zu werden. Ich zog mich immer aus bis auf die Unterhose, wickelte mich zuerst in eine Decke und schlüpfte erst dann unter die normale Bettdecke. Bei so vielen leer stehenden Betten war es einfach, zusätzliche Decken zu benutzen.

 

Es war auch besonders schwer im grossen Esszelt die Esswaren einigermassen warm zu halten. So funkelten die Brotstücke bereits in der Hand, wenn man sie zu sich nahm und bereits nach dem ersten Eintunken, in den doch heissen Kaffee, war dieser bereits zur Hälfte abgekühlt. Es herrschten zu dieser Winterzeit sicherlich keine angenehmen Bedingungen und nur mit einigem Verstand konnte man sich vor der eisigen Kälte schützen.

 

Natürlich ging der Drill weiter und die PSP-Brückenstücke wurden auf und abgeladen. Sechs Mann mussten immer bei einem Stück zugreifen und das Kommando lautete dann „à bras ferme“, worauf gleichmässig angehoben wurde. Bald hatten wir dies alles im Griff und dampften in der eiskalten Luft. Es gab keinen Schnee. Blauer Himmel strahlte über uns und der kommandierende Offizier, der oben auf dem Lastwagen stand,liess ab und zu eine Zigarettenpause zu. Als ich ihn nach so einer Kommandoaktion anschaute, fiel mir, auf dass seine Ohren auffällig weiss waren. Ich ging zu ihm und liess alle militärische Achtung fallen, um ihn aufmerksam zu machen. „Reibe jetzt keinesfalls an deinen Ohren, denn sie werden abbrechen, weil sie gefroren sind.“ Er wollte bereits hinlangen, um zu fühlen, was da los war, aber ich hielt ihn am Arm fest. Geh jetzt in die Kantine und reibe deine Ohren zuerst ganz vorsichtig mit Branntwein ein, aber lass dich nicht erschrecken, wenn es zu brennen anfängt. Das wird ein Zeichen sein, dass wieder Leben in deine Ohren zurückkehrt.“

 

Er verschwand schnell und tat, was ich ihm angeraten hatte. Als er nach einer viertel Stunde zurückkam, waren seine Ohren rot, wie gekochte Krebse, und er kam auf mich zu, schüttelte mir die Hand und bedankte sich herzlich für meine Aufmerksamkeit. Ich sollte eigentlich hier kurz bemerken, dass er zu meinen Zöglingen gehörte, bei einem Pfadfinderlager, das wir in Einsiedeln in der Schweiz hatten. Dort hatte sich bereits eine Freundschaft angebahnt.

 

Zu dieser Zeit verstarb die Mutter meiner Freundin. Dummerweise verstarb auch der Luxemburger Staatsminister Pierre Dupont am 23. Dezember 1953. Das bedeutete Kasernierung aller Soldaten. Kein Ausgang, kein Urlaub. Ich wollte aber unbedingt der Abendmesse mit Gesang beiwohnen, gelesen für die Mutter meiner Geliebten. Also beschloss ich, über die Mauer zu gehen. Das war in Capellen einfach zu vollziehen. Ich war zuständig für die erste Baracke, worin auch Ambroise untergebracht war. Er musste an diesem Abend die Wache schieben, genau bei meinem gewagten Ausgang. Ich bearbeitete ihn vor meinem Weggehen ausreichend, so jedenfalls, wie ich es mir vorstellte. Den Stubenbericht mit den Insassen fälschte ich, weil ich den Sekretär kannte, der seinen Dienst im Büro der Kompanie machte. Wir waren gute Freunde und er wohnte im Nachbarort und hatte mir sein Fahrrad bereits am Bahnübergang abgestellt, damit ich nach Hause fahren konnte. Ich brauchte also nur am nächsten Tag meinen Namen nachträglich auf die Präsenzliste zu setzen, was durchaus machbar erschien.

 

Als ich zu später Stunde zuhause eintraf, herrschte sofort grosse Bestürzung, weil ich gegen die militärischen Vorschriften verstossen hatte. Man liess michaber keinesfalls aus dem Hause und verbot mir überhaupt vor die Tür zu gehen. Um meiner Geliebten aber zu zeigen, dass ich zuhause gewesen bin und nur von meinen Eltern zurück gehalten wurde, mich in der Kirche zu zeigen, schrieb ich einen kurzen Brief und warf diesen in den Briefkasten meiner Freundin. Ein Familienangehöriger aber, der ebenfalls der Messe beiwohnte, hatte jedoch bereits meiner Freundin klar gemacht, dass ich zuhause wäre und man mir leider verboten habe mich irgendwo in der Öffentlichkeit zu zeigen. Ich war natürlich extrem wütend über meine Eltern, heute aber weiss ich, dass es nicht die beste Idee war, denn mit Sicherheit hätte jemand sich ein Vergnügen daraus gemacht, um mich zu verraten.

 

Nach der Totenmesse wurde das Fahrrad meines Freundes zum Teil demontiert und in unser Auto geladen. Meine Eltern begleiteten mich bis zur Bahnschranke in Capellen, wo ich das Fahrrad wieder zusammenbastelte und daraufhin schlenderte ich langsam in Richtung Lager. Ich wollte geräuschlosam Posten vorbei, doch ich konnte Ambroise nicht ablenken. Er hatte mich natürlich erkannt. Ich drohte ihm noch einmal mit Tod und Teufel, wenn er mich verpfeifen würde. Am nächsten Morgen wurde die Liste der anwesenden Barackeninsassen von mir wieder geändert und damit war diese Episode gelaufen.

 

Der Tod von Staatsminister Duponghatte auch Nebenerscheinungen beim Genie. Es hiess auf einmal ein Peloton des Genies aus Capellen müsse die Parade „klopfen“,anlässlich des Staatsbegräbnisses. Dieses Gespräch schien sich zu bewahrheiten, denn auf einmal stand wieder strammer Drill auf dem alltäglichen Programm. Natürlich war ich keinesfalls begeistert davon, dass man uns alle wegen eines Staatsmannes kasernierte und nun sollten wir auch noch in kürzester Zeit gedrillt werden, um in aller Öffentlichkeit eine Show abzuziehen. Es hätte mir wahrscheinlich nichts ausgemacht, wenn nicht die Witterungsverhältnisse bei diesem Drill absolut nicht in Betracht gezogen wurden. Wir marschierten Stunde für Stunde wie eine verblödete Bande, denn unter uns gab es mehrere jener „Motorlouis“ die gleichzeitig mit dem linken Arm und dem linken Bein und dann mit dem rechten Arm und dem rechten Bein nach vorne marschierten. Es war ihnen nicht beizubringen, wie die Arme geschwenkt werden müssen. Dabei ging ein Schneeschauer nach dem anderen mit kräftigem Seitenwind auf uns nieder. Erst war die linke Körperseite mitsamt dem Gewehr komplett weiss, dann wieder die rechte, je nachdem in welcher Himmelrichtung wir auf der schmalen Strasse marschierten. Die Kritik des Unteroffiziers wurde immer heftiger.

 

Als er einmal eine kurze Zigarettenpause einlegte, entwickelte ich mich zum Anstifter einer Verschwörung des ganzen Pelotons. Da der Sergeant uns gedroht hatte, er würde uns nächstens „robben“ lassen, wenn es nicht bald mit dem Gleichschritt und den gemeinsamen Kehrtwendungen klappen würde, fand ich meine Stunde gekommen, um diesem sturen Drill ein Ende zu setzen. Mir war bereits klar dass bei so vielen Nieten, die nicht einmal rechts von links zu unterscheiden wussten, man noch bis tief in die Nacht hinein drillen könnte, ohne auch nur den geringsten Erfolg, die erwünschten Verbesserungenzu erzielen. Meine Taktik war einfach und zu meinem Erstaunen willigte jeder ein, mitzumachen. Als das Ende einer der vielen Zigarettenpausen gekommen war und Rassemblement gepfiffen wurde, rührte niemand sich vom Fleck.

 

So was hatte der Sergeant noch nie erlebt. „Jungens wisst ihr was das bedeutet, wenn man den militärischen Befehl verweigert, das bedeutet Militärgericht!“ Er versuchte es noch einmal. Niemand rührte sich von der Stelle. „Wenn ihr jetzt nicht auf der Stelle losmarschiert, dann werde ich den Oberstleutnant zu Hilfe rufen, der wird euch schon soweit bringen, dass hier marschiert wird, andernfalls bleibt nur das Robben, die einzige Lösung.“

 

Genau das hatte ich mir vorgestellt. Genau diese Worte wurden von allen Soldaten verstanden. Wir warteten nur auf diesen Befehl. Und ich hatte ihnen versprochen, dass wir dann unbedingt genau alle Befehle ausführen sollten. Alles, was man von uns "in extremis" verlangte. Ich kannte die Mentalität dieser Vorgesetzten, die kaum über den Tellerrand hinaus schauen konnten. Es kam wie vorher gesehen. Der Sergeant verlor die Nerven, rannte zurück in die Baracken und von Weitem sahen wir bereits den aufgeregten Oberleutnant, der in schnellen Schritten sich des Pelotons näherte und unterwegs noch die letzten Knöpfe seiner Uniformjacke zuknöpfte und seine Kopfbedeckung noch mehrere Male zu Recht rückte.

 

Als er bei uns ankam, liess er sofort eine Kanonade los und drohte er würde uns bei dem Sauwetter durch den Schlamm robben lassen, wenn wir nicht auf der Stelle seinem Kommando gehorchen würden. Er schrie, so laut er konnte. Er schrie aus Leibeskräften zum Rassemblement. Niemand rührte sich. Jeder wartete auf den äusserst spannenden Augenblick in welchem die Parade der Pioniere, der öffentliche Auftritt des Genies mit dem grossen Staatsmann zu Grabe getragen werden sollte.

 

Niemand kam den Befehlen nach, bis dem Offizier schlussendlich der Geduldfaden riss und er wie ein Tollwütiger schrie: „Na, ich habe euch gewarnt. Ihr habt es nicht anders gewollt. Jetzt werdet ihr einmal sehen, was robben bedeutet.“

 

Am Strassenrand lag eine grosse Freifläche, auf welcher viele Lastwagen, jeweils hügelweise Erde, vermischt mit Steinen, ausgeleert hatten. Alle Hügel hatten so schöne Schneekappen und da hinein sollten wir beim nächsten Kommando. Auf die Erde, in den Dreck. Mit dem Gewehr nur soviel Erdklumpen wie nur möglich in den Gewehrlauf, auf das Gewehrschloss, die Schuhe, die Bonnets. Wir hatten uns vorgenommen uns so ungeheuer mit Dreck zu versauen, dass es Tage dauern würde, bis das alles wieder gereinigt war.

 

Das unsere Aktion auslösende Kommando kam alsdann wie erwartet. Blindwütig schickte er uns hinein in diese Schlammschlacht und ich bin mir sicher, er hatte nicht einmal einen einzigen Augenblick daran gezweifelt, dass wir seinem Befehl auch mit Widerwillen gehorchen würden. Und so was nannte sich Leitfigur einer Kompanie. Von Vorausschau der sich anbahnenden Folgen hatte er nicht den Schimmer einer Ahnung.

 

Wahrscheinlich jedoch wunderten sich die beiden, wieso wir auf einmal alle zu so einem blinden Gehorsam gekommen waren. Vielleicht wird erst dem einen oder dem anderen bei der Lektüre dieser Zeilen klar, in welche Denkfalle ich die beiden gelockt hatte.

 

Der Leser kann sich vorstellen, wie schwer es manch einem fiel, mit seinen verklumpten Schuhen sich noch vorwärts bewegen zu können. Schade, dass niemand ein Foto von uns gemacht hat. Nach kurzer Zeit wurde es dem Leutnant klar, dass er in unserem aktuellen Zustand kaum noch an Drill denken könne. Er verdonnerte uns, zurück in die Baracken zu gehen. Er forderte uns auf binnen 2 Stunden wieder blitzblank gesäubert auf derselben Strasse, erneut anzutreten.

 

Da hatte er aber die Rechnung ohne den Gärtner gemacht, denn die Duschen liessen einen solchen Andrang, dazu noch in einem aussergewöhnlichen verdreckten Zustand, überhaupt nicht zu. Bald waren die Abflüsse verstopft. Draussen regnete und schneite es noch immer abwechselnd und keine Wäsche konnte zum Trocknen aufgehängt werden. Die Schlafräume waren in kürzester Zeit in so einem verdreckten Zustand, dass es unüberschaubar geworden war, wann die Soldaten diese voluminöse Mammutwäsche bewältigt haben werden. Allein der Zustand unserer Gewehre erforderte viel zu viel Platz auf den Tischen, der gar nicht vorhanden war. Totales Chaos herrschte bis spät in die Nacht hinein. Dem Leutnant war nach 2 Stunden sofort glasklar, dass wir seine Forderungen nicht einmalbis zum nächsten Mittag nachkommen könnten. Es dauerte noch bis zum Abend am nächsten Tag, bis alle Uniformen einigermassen sauber waren. Die Schlafstellen waren wieder aufgeräumt, aber trockene Wäsche zu produzieren war eine Illusion.

 

Die Parade wurde anlässlich des Staatsbegräbnisses von der Garde aus Walferdingen „geklopft“. Mit welcher Begründung unser Leutnant dies durchsetzen konnte, entzieht sich meiner Kenntnis.

 

Ich habe aber noch einige kleine militärische Erlebnisse, die nicht unbedeutend für mich waren und davon etwas später auch eine, die zur heutigen Zeit einen kleinen Skandal ausgelöst hätte.

 

Das Genie im Manöver – wir spielen Krieg.

 

 

Das Genie war auserwählt beim Manöver in der Eifel den „Ennemi“,also die feindliche Gruppe zu spielen. Wir waren nur etwa 60 Mann, schnell beweglich, um gelegentlich Scharmützel mit dem grossen Heer zu organisieren. Ich muss noch vorausschicken, dass mich die angewandten Strategien ebenfalls interessierten und dass das was ich jetzt erzählen werde, mir ungeheuren Spass bereitethat.

 

An einem Nachmittag machten wir Siesta neben unseren Zelten im Freien auf einer herrlichen Wiese zwischen Seffern und Sefferweich, eine kleine Ortschaft mit kaum 250 Einwohnern, nördlich von Bitburg. Da kam ein Leutnant auf mich zu und bat mich mit ihm ganz privat am Waldesrand spazieren zu gehen. Dies kam mir aussergewöhnlich vor und es sollte sich auch Aussergewöhnliches anbahnen. Es war geplant, dass das Genie einen russischen Fallschirmspringer, als Spion mit Sabotageabsichten, ins feindliche Lager schleusen solle. Wahrscheinlich hatten meine guten Kollegen, die mich ja genug kannten, meine Wenigkeit zu diesem Paradestück vorgeschlagen. Der Leutnant sollte mir streng vertraulich den ganzen Verlauf vortragen und mich freundlichst bitten diese Mission zu erfüllen.

 

Ich sagte sofort zu, unter der einen, für meine Sicherheit absolut primordialen Bedingung, dass egal wie die Sache auch ausgehen würde keine Nachteile für mich entstehen dürften. Nur weil man mir dieses zu sicherte, willigte ich ein undmeine kurze Ausbildung zu diesem Coup begann sofort.

 

Gegen Abend steckte ich in einer russischen Fallschirmspringer Uniform, in meinen Hosentaschen hatte ich einige dicke Zwiebeln und unter meinem Hemd hatte man mir Lagekarten mit absolut falschen Indikatoren gesteckt. Ich sollte unbedingt bis ins Hauptquartier vordringen und dort die wahrscheinlich auf einem Tisch liegenden Pläne der Armeeführung komplett verwischen, wenn diese nicht mit Folie abgedeckt waren. Nur eine Taschenlampe sollte mir in der dunklen Nacht weiterhelfen, denn dieses Militärspiel fand in dunkler Nacht statt. Dazu hatte ich absolutes Stillschweigen zu bewahren, woher ich kam, wer ich persönlich war, wo ich angegliedert war und nur der Kolonell Albrecht persönlich sollte mit den Worten „Den Alarm ass eriwer“ mich von weiteren Verpflichtungen entbinden.

 

Mit einem Jeep brachte man mich irgendwohin in eine Hügellandschaft, die ab und zu vom Mond erleuchtet wurde. Eine kleine Gruppe von unserer Begleitmannschaft hatte sich dort mit Maschinengewehren niedergelassen und auf einmal begann sie, in Richtung des gegenseitigen Hügels, zu ballern. Dort hatte die grosse Truppe unter Bäumen Schutz vor den Flieger gesucht. Einige Jetpiloten, die inBitburg stationiert waren, hatten dem Ennemi ihre Hilfe als Kundschafter zugesagt.

 

Das Lager drüben im Wald war nicht beleuchtet und auch auf das Maschinengewehrfeuer hin schien sich nichts zu rühren. Das war aussergewöhnlich und sofort schickte man mich los. Ab sofort war ich auf mich allein gestellt. Ich sollte Leben in die verschlafene Bude bringen.

 

Es dauerte nur kurze Zeit, bis ich über die Lichtung im Tal war und bereits schemenhaft die dunklen Schatten, von gepanzerten Fahrzeugen, am Waldesrand erkannte. Ich hatte erwartet, dass wenigstens ein Posten zu sehen sei, so begann ich Geräusche zu machen. Ich zischte, ich pfiff, ich hustete, aber die Jungen hatten einen gesunden Schlaf, bedingt durch ein Ereignis, über das ich erst später aufgeklärt wurde.

 

Ich ergriff einen Knüppel, denn ich musste ja gefangen genommen werden, und schlug damit auf die Karosserie der Fahrzeuge. Da musste doch jemand wach werden, aber nur, als ich meinen Knüppel mit voller Wucht auf eines der Kettenfahrzeuge hieb, dass es im Innern dröhnte und weit hin schallte, da räusperte sich einer der drinnen schlief und wünschte mich zum Teufel, mit meinem Radau.

 

Niemand nahm mich gefangen. Der geschmiedete Plan schien nicht aufzugehen. Doch als ich mit dem Knüppel auf ein grösseres Zelt hieb und zu Grölen anfing: „Malo Kleber, ……nima Maslo, nima Malokka, nima Yeika kurissi soprali.....nix bonimai“, da trat ein Unteroffizier in Uniform heraus. Er hielt in seiner Hand einen Teller halb gefüllt mit Cannelloni, die er im Begriff stand zu verspeisen. Als er mich in der exotischen Aufmachung erblickte, blieb ihm wahrscheinlich eine Cannelloni im Hals stecken. Er begann zu husten, zeigte mit der Gabel auf mich und sagte: „Was machen Sie denn hier, wer sind Sie denn?“

 

Er kam näher an mich heran. Furchtlos, ohne Vorsichtsmassnahmen. Im Kriegsfall hätte ich ihn sofort umlegen können. Doch es ging mir ein Schreck durch die Glieder. Ich kannte diesen Sergeanten. Er stammte aus demselben Dorf wie ich. Sein Vater war, genau wie mein Vater, ein Zöllner. Schon glaubte ich, das Ende des Spielchens gekommen zu sehen. Er aber schien mich nicht erkannt zu haben, wegen der Tarnfarben, die man mir ins Gesicht aufgetragen hatte.

 

Er rannte ins Zelt und brachte kurz darauf noch etliche Gradierte, die sich schnell die Uniform überzogen. Dann tauchten auch schon 2 MPs auf, die mich als Radaumacher festnehmen sollten. Ich wehrte mich gewaltig und schrie immer nur russische oder ukrainischeWorte, die ich von meinem Vater gelernt hatte. Dann ging es ans Eingemachte. Ich wurde von Kopf bis Fuss untersucht. Man fand die Zwiebeln und konnte sich das nicht erklären. Man fand die falschen Landkarten und wollte diese sofort unter der Lampe kontrollieren, denn ich stellte ein Rätsel dar. Das Kommandozelt wäre für meinen Auftrag genau das richtige Ziel. Ich musste mit gespreizten Beinen mich absolut schräg gegen einen Jeep stützen, als man mich von Kopf bis Fuss filzte. Inzwischen war der Sergeant wieder bei mir. Er musterte mich und meinte: „Diesen Kerl kenne ich, den habe ich irgendwo bereits einmal gesehen, aber ich weiss nicht wo.“ Um ihn komplett in Verwirrung zu bringen, rief ich ganz laut seinen Spottnamen. „Dittchen“. Das haute ihn um. Keiner der uns umgebenden Soldaten wusste wahrscheinlich, dass dieses sein Spottname war, den nur ganz nahe Bekannte kennen konnten.

 

Die Situation machte mir absolut Spass, und da ich absolute Narrenfreiheit hatte, ging ich auf den Kapitän Welter zu, der sich näherte, nahm ihn bei der Nase und schrie so laut, wie ich konnte: „Minnejang“. Das war sein Spottname.

 

Minnejang war eine korpulente Persönlichkeit. Als er von mir hörte, dass ich seinen Spottnamen rief, da schien er aus seiner Uniform zu platzen. Ich aber schrie immer wieder russische Worte und er kam so nahe auf mich zu, dass ich seinen Atem im Gesicht verspürte. „Der Mann bekommt Bunker, sofort.“ Einer der Gradierten musste gewusst haben, was geplant war, denn er schien die Lage weidlich zu geniessen und da kam auch noch ein kleiner Cousin von mir auf uns zu und ich dachte sofort, jetzt ist alles vorbei, jetzt verrät dieser deinen Namen. Ich riss mich bei den MPs los und rannte auf ihn zu, um ihm schnell ins Ohr zu flüstern: „Aloys, Du darfst mich nicht erkennen.“ Er staunte nicht schlecht, denn er hätte mich wirklich nicht erkannt, so wie er mir später versicherte. Dann hatten die beiden MPs mich schon wieder in ihren Händen und brachten mir Handschellen an.

 

Es rumorte in allen Fahrzeugen und die Soldaten wurden wach, doch ich wollte noch einen Coup landen. Ich riss mich los und rannte in den Wald in Richtung Kommandozelt und kam nur bis bei einen kleinen Bach. Meine Verfolger waren nahe an mir dran. Ich ging ins Wasser. Zum Glück war der Grund des Baches steinig, doch ich watete knietief hindurch. Auch auf der anderen Seite tauchten Verfolger auf. So rannte ich durch das Bachbett, die Verfolger auf beiden Ufer, denn keiner wagte sich ins Wasser. Meine kniehohen Stiefel, die man mir verpasst hatte, waren zum Glück wasserdicht.

 

Ich peilte das grosse Zelt an, wo ich die Kommandozelle vermutete. Doch da galt es noch einen glitschigen mini Wasserfall zu bezwingen und hier verliessen mich die Kräfte. Man hatte mich eingeholt.

 

Ich war natürlich zum Gesprächsthema geworden. Jedermann rätselte was dies zu bedeuten habe. Dabei geriet der Geruch von den Cannelloni mir wieder in die Nase und ich verspürte so eine absolute Lust, dass ich mich zielstrebig dem Kessel mit den Teigwaren näherte. Kapitän Welter war immer noch hoch entrüstet über meine Frechheit. Der Sergeant grübelte, von woher ich ihn kenne. Auch mein „Kleiner Cousin“, wusste nicht woher er mich, aus seinem Bekanntenkreis kennen würde. Ich sagte ihm aber noch einmal ins Ohr: „Aloys, du darfst mich auf keinen Fall verraten, wenn du mich erkannt hast.“

 

Jedes Mal, wenn wir uns später im Lebenbegegnet sind, dann dachten wir sofort an diesen nächtlichenSpass im Manöver zurück. Leider wird eine solche Begegnung sich nicht wieder ereignen. Aloys ist vor einigen Tagen im Alter von 90 Jahren gestorben. Obschon er ein gradierter Offizier war, haben wir uns immer vorzüglich verstanden.

 

Ich fand dummerweise den Dreh nicht, um zum Kommandozelt zu gelangen, denn es hätte mich wirklich gefreut, die strategischen Aufzeichnungen auf den Plänen zu sabotieren.

 

Es dauerte eine Weile da regte sich etwas auf dem Hauptweg im Wald. Die Soldaten salutierten, die Graduierten salutierten, Kapitän Welter salutierte und die Commandcar blieb unweit von mir stehen. Aufbeiden Seiten des Wagens befand sich eine weisse Fahne. Das waren die Schiedsrichter und aus dem Jeep dahinter stieg ein elegant gekleideter Militär. Er schüttelte um sich herum viele Hände und kam geradewegs auf mich zu.„Den Alarm ass eriwer“! Das war das abgemachte Losungswort und jetzt erst ging das Fragen nach wie, was, wo, richtig los. Man erzählte dem Kolonell, was sich ereignet hatte. Der Kolonell zog mich beim Ärmel in seinen Wagen und bemerkte knapp: „Sie haben ihre Sache ausgezeichnet gemacht. Ich bringe sie zurück zu ihrem Peloton!“

 

Ich wollte mich aber schlaumachen, warum keine Wachen hier aufgestellt waren und warum alles so tief geschlafen habe, ohne auf die Maschinengewehrsalven und später auf meinen Radau hin zu erwachen. Der Kolonell meinte alsdann: „Wir hatten gestern Abend eine traurige Anfahrt zum Nachtlager. Ein Personenwagen ist in der Hanglage umgestürzt und wir hatten dabei 2 Tote zu beklagen. Kein Wunder, dass die Leute hier reaktionslos auf dem absoluten Nullmeridian hocken.“

 

Darauf hinwar es auch Essig mit meiner Freude, am nahezu perfekten Erfolg. Der Kolonell brachte mich zurück in unser Lager. Er drückte mir noch einmal seine Zufriedenheit aus, gab den Obrigkeiten meiner Kompanie zu verstehen, dass alles nahezu perfekt gelaufen sei, und machte sich mit den Schiedsrichtern wieder auf den Weg.

 

 

 

Militärmanöver in Sissonne

 

Militärmanöver in SissonneNach meinem regulären Militärdienst musste ich noch einige Male zurück in die Kaserne, um an verschiedenen Manövern teil zu nehmen. Zu diesem Zweck stand der Luxemburger Armee neben deutschen Übungsgeländen, auch das französische Militärgelände bei Sissonne, sowie auch ein Teil der dortigen Kaserne zur Verfügung. Mein grüner Marinesack, den ich zuhause aufbewahrte, war schnell wieder gepackt, weil die Kleidungsstücke frisch gewaschen und sogar geplättet, zuhause aufbewahrt wurden. Nur das Gewehr, sowie ein Paar Schuhe, die bereits von verschiedenen Leuten ausgetretenworden waren, erhielten wir bei unserer Ankunft in der Kaserne. Ich fand diese Zuteilungnicht apart hygienisch, da man sich auf eine solche Manier eigentlich unkonventionell einen Fusspilz zuziehen kann.Bereits am ersten Tag nach meiner Ankunft in der Kaserne. auf dem "Härebierg", eine abgeflachte Anhöhe nahe Diekirch, an dem jeder Einberufene irgendeiner Kompanie oder Abteilung zugestellt wurde,stellte man fest, dass meine Persönlichkeit nicht in den Personallisten erfasst worden war. Ich war also nicht im Voraus "affektiert" worden. Das löste für mich eine Reihe von aussergewöhnlichen Beschäftigungsmethoden aus, die absolut keinen Bezug zu einem militärischen Manöver hatten.Alle einberufenen Uniformierte hatten bereits erfahren, welcher Abteilung sie für drei Wochen angehörten, da stand ich noch Mutterseelen allein auf dem Exerzierfeld und die Obrigkeiten mussten die graue Masse in ihren Köpfen von strategischer auf bürokratische Denkweise umstellen, um auch mich in irgendeiner Abteilung unter zu bringen. Man beschloss also mich in die Reparaturwerkstätte, kurz genannt "die Garage", zu verbannen. Als ich mich bei meinem dortigen Vorgesetzten meldete, war natürlich dessen erste Frage, welchen handwerklichen Beruf ich denn erlernt habe. Jeder, der meine Memoiren bis hierher gelesen hat, weiss, dass ich kaum als Mechaniker infrage kommen konnte.

 

Milchmann, Metzger, Depositär und Koch, das waren Sparten, in welchen ich bereits nebenberufliche Erfahrungen gesammelt hatte. Da ich also diesbezüglich keine zufrieden stellende Antwort geben konnte, ärgerte man sich über die fehlerhafte Vorarbeit der Planer und Organisatoren. Ich wurde kurzum zum Nichtstun verpflichtet, und da in der Reparaturwerkstätte keine Stühle zum Sitzen vorgesehen waren, fand ich schnell die Fetzenkiste, mit der ich vorlieb nehmen wollte und musste. Aber auf Fetzen kann man nur dann sehr gut sitzen, solange diese sauber sind und nicht zu sehr nach Fett und Schmieröl duften, denn der Griff nach einem frischen Handabwischer färbte sich langsam aber sicher auf die vorhandene Putzwolle ab. Auf diesem geräumigen Sitzplatz konnte ich gelassen und ungestört in den Tag hinein träumen, ohne durch das Befehlsgeschrei von Korporalen und Sergeanten, die dauernd ihrer beruflichen Pflicht nachkommen mussten, aus meiner durchaus gemütlichen Lage gebracht zu werden. Natürlich wurde es dort für mich schnell nahezu unerträglich, ja stink langweilig, so beschloss ich denn mich bei den jeweiligen Handwerkern, um zu sehen, die den ganzen Tag über vollauf in Aktion waren, was ihnen alles an handwerklichem Können abverlangt wurde. Ich lernte die Bezeichnungen mancher Arbeitsgeräte kennen, sah zu wie man mit Feile, Schweissapparat, Hammer und Zange arbeitete, aber auch wie man sich ganz spezifischer Handwerkerutensilien bediente, um spezielle Arbeiten zu verrichten. Ja, ich lernte ganz allgemein, was sich so alles in einer Militärgarage tut. Leider konnte ich nicht einmal in der Materialausgabe helfen, da die technischen Bezeichnungen der Ersatzstücke, die man brauchte für Lastwagen, Panzer, Jeeps oder Commandcar, mir absolut spanisch vorkamen, weil nicht alles Material mit der archivierten Inventur- oder Katalognummer und deren Materialnamen bestellt wurde. Natürlich lernte ich manche Ersatzteile mit ihrer gebräuchlichen Bezeichnung kennen, was eigentlich nicht ungelegen kam, so wusste ich bald, wie die verschiedenen Bremsen aussahen, welche vielseitigen Formen von Bremsbelag es gab, was Simmerringe sind, wie Ventile erneuert werden, ausgediente Auspuffrohre abmontiert, Dichtungen in allen Dimensionen ausgetauscht, Spiegel repariert, Reifen montiert und sogar funkelnagelneue Motoren zum ersten Mal in Betrieb genommen wurden.. Das alles war gewiss nicht uninteressant, wenn ich nicht immer wieder verdächtigt worden wäre, ich würde mich vor jeglicher Mitarbeit drücken, weil ich nicht in einer Arbeitsbekleidung steckte. - man konnte mir auch keine besorgen, weil mein spezieller Fall in diesem Planspiel nicht vorgesehen war. Ich hätte allzu gerne mit Hand angelegt, allein um dem stumpfsinnigen Dasitzen zu entgehen, doch war ich eher ein Hindernis, als eine wirkliche Hilfe. Ich konnte nur moralische Unterstützung anbieten, indem ich den Kollegen Soldatenwitze erzählte. Das brachte natürlich etwas Stimmung in diese Alltagsmonotonie. Doch auch dabei konnte ich mir nicht einmal schmutzige Finger holen, um diese vorzeigen zu können. Ich fühlte mich wie ein edles und vollauf unnützes Staubkorn im Getriebe dieser Reparaturwerkstatt, inmitten einer sehr beschäftigten Armeeabteilung. Ich kam mir nahezu vor wie der Bewohner eines anderen Sterns, eine ArtBig Brother, der manchem Spezialisten bei dessen Arbeit über die Schultern schaute. Es gab auch welche denen dies nicht gefiel, denn es hatte sich schnell der Verdacht verbreitet, ich könne eventuell ein Schnüffler oder sogar ein Aufpasser sein. Schliesslich hatte es sich schnell herumgesprochen, dass ich ein Beamte sei, der von der Eisenhütte kam. Manche Kollegen beneideten mich in meiner Statistenrolle, weil ich eigentlich tun und lassen konnte, was mir eben zusagte.Meine militärische Mission in diesem Manöver bestand demzufolge ausschliesslich darin, beim alltäglichen Appell "Ja" zu rufen und den ganzen Tag über physisch präsent zu sein. Eine geistige Anwesenheit war nicht vorausgesetzt, so war ich denn einberufen zum Nichtstun, meine Gedanken aber konnten weit weg sein, etwa zuhause, bei der Freundin, oder sogar beim Verfassen von Liebesbriefen oder beim schwärmerischen Schmieden von Gedichten. Auch in einer solchen Mission kann man eine gewisse Ausdauer entwickeln. Ich war also ein ganz besonderer, sogar ganz spezieller Extrafall, wie er wahrscheinlich noch niemals in einem Manöver aufgetreten war.Zu meinem Vorteil bauten sich allen Gegensätzlichkeiten zum Trotz, zwischen Handwerker- und Beamtendasein (die mir später im Leben noch viel krasser auffielen)einige Freundschaften auf, die für etwas Abwechslung sorgten. So hatte ich den eher angenehmen Vorteil mich an manchen der alltäglichen Probefahrten zu beteiligen, um die reparierten Wagen, auf deren wieder erlangte Fahrtüchtigkeit zu testen. Das ergab für mich jedes Mal eine Spazierfahrt, denn wir fuhren durch die umliegenden französischen Dörfer und Felder, oder wir brachten einen dringend benötigten Wagen wieder zurück, an die mir unbekannte, aber nicht weit entfernte "Front".Eines Tages wollte ich wissen, wie gut oder schlecht man in einen Kettenfahrzeug sitzt, das man als Chenillette bezeichnete, während dies schnell über hügeliges Feld braust. Ich erhielt also die ausdrückliche Erlaubnis, mir dieses Gefühl unter die Haut gehen zu lassen. Man hatte bei einem der in der Garage abgestellten Kettenfahrzeuge das Kettenwerk auf der linken Seite vollständig erneuert. Jetzt musste es ausprobiert werden. Das, was mir alsdann unter die Haut gehen sollte, erfolgte aber auch im wahrsten Sinne der Worte, und dies weit über meine Vorstellungen hinaus intensiv. Die beiden Kollegen in der Führerkabine warnten mich aufdringlich, bei dieser speziellen Probefahrt keinesfalls die mir zugewiesenen Handgriffe loszulassen, weil ich sonst der Gefahr ausgesetzt sei, durch Aufprallen schwer verletzt zu werden. Man warnte mich immer wieder aufs Neue, dass ich mich eher krampfhaft auf derSitzbank festhalten müsse. Da all ihre Vorwarnungen so intensive waren, stellte sich bei mir bereits eine gewisse Vorahnung ein und ich begann zu zögern, ob ich das Experiment wirklich über mich ergehen lassen soll.Ich entschied mich entgegen aller vernünftigen Argumente, am Ende doch für die Probefahrt, kletterte noch unbesorgt in den offenen Mannschaftskasten der Chenillette, an dessen beiden Seitenstücke über den Raupen, sich jeweils eine breite Bank befand. Der Raum mitten zwischen der linken und rechten Bankreihe war absolute frei. Es kann möglich sein, dass diese Chenillette ein aussergewöhnliches Kriegsfahrzeug war, in welchem man auch Munition transportieren konnte. Es war mir nicht möglich die Fabrikationsbezeichnung dieses Fahrzeugs ausfindig zu machen. Zu meinem Erstaunen gab es auch keine Rehling, in der Mitte dieses Kastens an welcher man sich hätte festhalten können. Festhalten musste ich mich an der Seitenwand. Wahrscheinlich wurden die transportierten Soldaten im Ernstfall genau instruiert, wie sie sich fest zu halten hätten.Einen Sicherheitsgurt habe ich nicht vorgefunden! Was jedenfalls klar war, es handelte sich um ein wendiges, sehr schnelles und gepanzertes Fahrzeug, das Geschwindigkeiten bis zu 50 km/St. zuliess. Es scheint mir als ob es mit einem Maschinengewehr des Typs Bran ausgerüstet war.Dann ging es ohne Verzug los, hinaus aus der geräumigen Garage. Auf der Dorfstrasse war dieses Kettenfahrzeug, in welchem etwa ein Dutzend Soldaten in Kampfkleidung Platz nehmen konnten, noch recht erträglich. Ich hielt mich auf der glatten, stahlhart gepanzerten Bank fest, so gut ich konnte, ahnte aber bereits was auf mich zukommen würde, denn neben mir sass niemand, der mich seitlich polsterte. Auf beiden Körperseiten hatte ich demzufolge enormen Spielraum, was so viel bedeutete, wie dass ich nicht nur das Auf und Ab meines Körpers abfedern musste, sondern auch das zusätzliche Hin- und Herrutschen auf der Bank, den Fliehkräften entgegen steuernd,die michschnell abwechselnd mit ungeheurer Wucht nach links oder nach rechts zogen oder drängten. Dann erst ging es hinein ins holprige Gelände. Ich erhielt kurz vorher noch einmal die ausdrückliche Warnung, ich dürfe auf keinen Fall meine Handgriffe loslassen, weil ich sonst aus der "Chenillette" geschleudert würde. Ein Glück, dass ich von Natur aus bereits damals reichlich gepolstert war, denn das was jetzt mit mir geschah empfand ich recht bald als äusserst qualvolles Erlebnis. Als dann zusätzlich das Geländefahrzeug während der Fahrt noch beschleunigte und obendrauf auch nochdie Fahrtrichtungen unerwartet und eckig veränderte, da dachte ich bereits, dass ich dieser gewaltigen physischen Anstrengung, mich trotz aller Widerwärtigkeiten auf meinem Sitz zu halten,nicht länger standhalten könne.Die Situation ist nahezu unmöglich zubeschreiben, wenn man bedenkt, dass es mir kaum möglich war, mich auf dem Sitz fest zu krampfen. Ich wurde brutal vom Sitz gehoben, und prallte mit enormer Kraft wieder zurück, während dessen ich seitlich abzurutschen drohte, wogegen ich mich nahezu überhaupt nicht wehren konnte. Hinzu kam, dass mein Rücken hinter mir, an der gepanzerten Stahlwand zu zerschellen drohte. Ich musste ab und zu beide Augen schliessen, weil der geografische Horizont, der offensichtlich meinen Gleichgewichtssinn fest im Griff hatte, sich ständig und unerwartet schnell veränderte. Bald sah ich die Bäume am nahen Waldrand im normalen Zustand und aufrecht stehend, dann nahezu horizontal am Boden liegend, mal nach links, mal nach rechts geneigt, als fege ein Taifun teuflisch schnell die Richtung wechselnd hindurch, um sogleich wieder ihre Position in meinem Gesichtsfeld zu verändern. Es drohte mir Schwarz vor den Augen zu werden.In Gedanken sah ich mich schon,mit tausend Knochenbrüchen im Lazarett liegen. Ich fand aber nicht einen Augenblick, um mein eingegangenes Experiment zu bedauern. Die Kollegen im Führerstand blickten öfters nach hinten,um zu kontrollieren, ob ich immer noch „im Sattel“ war und dann begannen sie die tollsten Wendemanöver auf der Stelle zu vollziehen. Heute muss ich als Vergleich unweigerlich an das bekannte Bullen- oder Pferdereiten denken, bei welchem man solange wie nur möglich auf dem bockigen Tier im Sattel sitzen bleiben soll.Es riss mir nahezu beide Arme von den Schultern. So weit, wie das bei diesen plötzlichen Richtungs- und Geschwindigkeitswechseln geschah, waren meine Beine wahrscheinlich noch nie gespreizt gewesen, um am Boden einigermassen Halt zu behalten. Ich musste mich gewaltig anstrengen,um mich gleichzeitig auch seitlich abzustützen. Die bei rasanter Fahrt entstandenen Fliehkräfte wirkten so enorm auf meine physische Gegensteuerung, dass mir fast die Sinne zu schwinden drohten. Ich schrie so laut ich konnte, man solle stoppen, ich wäre am Ende meiner Kräfte, ich möchte aussteigen, doch die ohrenbetäubenden Motoren- und Kettengeräusche verschlangen mein erbärmlichstes Schreien. Ich musste diese qualvolle Tortur bis zum bitteren Ende über mich ergehen lassen. Wahrscheinlich genossen die Kollegen in der Führerkabine, meine immer misslicher werdende Lage. Doch auch sie hatten wahrscheinlich mit dem bockigen Gefährt die gleiche Mühe.Als wir wieder glücklich auf der ebenen Strasse angelangt waren, um zurück in die Garage zu fahren, konnte ich wieder einigermassen normal atmen. Meine sieben Sinne rückten langsam an ihre gewohnten Verankerungen im Gehirn zurück.

Ich stieg völlig erschöpft aus dieser Foltermaschine. Noch heute ist es mir unverständlich wieSoldaten es überhaupt überstehen können in so einem Fahrzeug transportiert zu werden. Das grenzt meines Erachtens bereits an Tollkühnheit. Doch kann ich mir auch vorstellen, dass man schon zustimmt, wenn man im gegnerischen Feuer, über diesen Weg die eigene Sicherheit erhöhen kann, um schnell den Ort des Schreckens zu wechseln.Als ich mich am Abend entkleidete, da bemerkte ich erst welche Aufpraller ich durch gestanden haben musste, denn ich hatte überall an den Armen blaurote, sogar blutunterlaufene Flecken. Wo an meinem Körper ich mich selber betrachten konnte sah ich nur Prellungen feststellen. Man sagte mir mein Rücken sehe multikolor aus, wie eine Schmiererei eines Freizeitpinslers. Beide Seiten meiner Knie waren dick geschwollen und das beste Stück, das man normalerweise zum Sitzen gebraucht, weigerte hartnäckig seinen Dienst, sogar in gemütlicher Verfassung auf meiner Fetzenkiste zu tun. Ich musste mich äußerst vorsichtig niederlassen, denn überall verspürte ich Schmerzen, die ich natürlich zu unterdrücken genötigt war, um nicht dem Gelächter der Kollegen zum Opfer zu fallen. Dies war mir eine gute Lehre. Damals hatte ich meine Schlussfolgerung schnell gezogen. Niemals mehr eine Probefahrt in solch einer Chenillette, die regelrecht zur äusserst gefährlichen Tortur werden kann.Was mich eigentlich am meisten verleitet hat diese kurzen Episoden aus dem Manöver schriftlich fest zu halten, das war ein beachtenswertes Ereignis, welches sich am Tag des Abschieds ereignete.Es spielte sich ab, wie an einem einheimischen Fest, im dem kleinen Städtchen Sissonne. Die Soldaten hatten freien Ausgang, niemand kann auch nur ahnen, was das in Wirklichkeit bedeutet. Alle Wirtshäuser der Ortschaft waren gerammelt voll von meist Luxemburger Soldaten und deren Angehörigen, vermischt mit den neuen Bekanntschaften aus der französischen Kaserne, wo der Tausch von Luxemburger Zigaretten gegen den bereits oben erwähnten Rotwein der Marke Pinard florierte. Oder man tauschte einen Becher voll Kaffee gegen einen Becher voll Pinard. Das war so die Regel. Meine bereits gestapelte Zigarettenration wechselte den Besitzer für einen kirgisischen Kris, ein Dolch mit geschlängeltem Messerblatt, der mir später jedoch abhandengekommen ist. An dem Tag hatten auch manche französischen Soldatenden Tag vor der "quille" erreicht, was deren Entlassung bedeutete und ebenfalls zum Feiern Anlass gab. Man kann sich also schon ein klares Bild ausmalen welche, eher durch Alkohol potenzierte Stimmung, in dem kleinen Sissonne vorherrschte. Das schöne Wetter trug zusätzlich dazu bei, sowie auchdie feierliche Kranzniederlegung am Monument des unbekannten Soldaten. Ich kann nicht wiedergeben, welches Monument dies eigentlich war, das auf dem Hauptplatz des Dorfes errichtet und an diesem Tag prachtvoll mit der Trikolore und vielen Blumen geschmückt war, denn wahrscheinlich wird, wie das in vielen Ländern gepflegt wird, der Gefallenen aus dem letzten und dem vorletzten Weltkrieg, vielleicht sogar auch noch anderer Gefechte gedacht wird, die in nahezu jeder französischen Grenzortschaft in Erinnerungen an die Kriege und Schlachten zu finden sind. Es ist immer etwas Heldenhaftes was gefeiert wird. Der aussen Stehende weiss natürlich, ob dies gerechtfertigt oder zutreffend ist! Das Volk versuchte eben wohlweislich übers ganze Jahr genügend Anlässe zum Feiern zu haben, was stets mit freien Tagen verbunden war.Zu diesem Ereignis war auch die Luxemburger Militärkapelle speziell angereist. Auf deren Programm stand ein Konzert, das in der Hauptstrasse, auf den Treppen der Eingangshalle eines markanten Gebäudes abgehalten werden sollte. Als das Konzert begann, war es bereits dunkel. Die Strassen waren gerammelt voll,von Zuhörern, die aber keinesfalls still an einem Ort stehen blieben. Es war ein reger Betrieb, wie in einem Ameisenhaufen, als die ersten Takte der Kapelle erschallten. Strassen, Plätze und sogar die Gassen waren hell erleuchtet. Der Platz, wo die Musikanten standen, war reichlich mit Scheinwerfern bestrahlt.Manche Anwesende hörten aber sehr aufmerksam, der in hohem Grade künstlerischen Darbietung zu. Gerade hatte man die Darbietung des "Feuervogels" oder war es die "danse du sabre" (?) ich kann es nicht mehr nachvollziehen, da gab es plötzlich einen lauten Knall und die ganze Ortschaft fiel in stockdunkle Finsternis. Zuerst ertönte aus aller Mund ein "oh" der Bedauerung, doch die Musikanten spielten unbeirrt in der absoluten Dunkelheit genau so weiter, als ob sie den Dirigenten vor sich sehen würden. Jedermann kennt sicherlich das wahnsinnige, ja furiose Tempo dieses Stückes doch die Musikanten gerieten nicht aus dem Gleichgewicht. Sie standen das Tempo und die Noten meisterhaft durch, bis zum Schluss. So etwas hatte ich noch nie erlebt und manch einer der dabei war, wird wohl das gleiche Urteil abgeben können. Dies war eine hervorragende Leistung der Luxemburger Militärkapelle.Man kann sich kaum vorstellen wie alsdann die Reaktion der Menschenmenge war, die hoch erstaunt den Abbruch erwartet hatte und jetzt eine so glanzvolle Leistung miterlebte. Kaum waren die letzten Noten verstummt, da brach ein gewaltiges Geheul der Masse aus, das meines Erachtens dem ungezügelten Geschrei des Publikums anlässlich eines Open AirKonzertes keinesfalls nachstand. Dann kam die Beleuchtung glücklicherweise wieder zurück. Die Strassen und Gassen waren wieder hell beleuchtet und die Darbietung ging weiter. Jedes Mal begleitet von rauschendem Beifallklatschen und jaulender Zustimmung. Ein kleines Feuerwerk wurde anschliessend, auf dem nahen offenen Feld abgebrannt. Danach begann erst eine richtige Sauferei der übermütig gewordenen Soldaten. Das Gelage und für andere Leute das nur bescheidene Fest, dauerte bis gegen Morgen. Der Tag der Heimfahrt aus dem Manöver war wahrscheinlich für viele durch einen erbärmlichen Katzenjammer gekennzeichnet, dem man natürlich keinesfalls mit geeigneten Mitteln begegnete. Manche hatten ihre Wasserbehälter mit Pinard von ihrem französischen Kollegen aufgetankt, die dann bei der Heimfahrt geleert wurden.

Die luxemburgische Armee hatte jedenfalls auch auf diesem Gebiet bis zum letzten Mann durch gestanden.Mir persönlich blieb dieses Manöver, das ich nahezu wie ein Aschenputtel verstoßen, aber angenehm auf Fetzen sitzend hinter mich gebracht hatte,jedenfalls bis heute in sehr guter Erinnerung. Es war das letzte Manöver an welchem ich habe teilnehmen müssen. Danach wurde die obligatorische Militärzeit von 1 Jahr auf eine Dauer von 6 Monaten reduziert.Es sollte sich für mich doch noch einen unerwartet dramatischen Abschluss ergeben, denn am Vorabend unserer Rückfahrt hatte ich mir beim Ofenanzünden die Finger und Unterarme gesengt oder eher verbrannt, weil ich in meiner unerfahrenen Einfalt dem nicht brennen wollenden Abfall im Ofen nachhelfen wollte, mit einigen Tropfen Benzin. Doch die wenigen Tropfen genügten schon, dass in der Bude nahezu eine Explosion ausgelöst wurde. Ich hatte unterschätzt und keine Ahnung dass Benzin eine so hohe Ausdehnungsgeschwindigkeit mit Explosionskraft hat.

 

Bei erneutem Stromausfall rannte ich in stockfinsterer Nachtins Lazarett, wo die Notaggregate für Strom sorgten. Das Erste was man mir verabreichte war eine gehörige Zurechtweisung und dann erst eine Calcibronat Spritze, nebst allerlei Verbandzeug. Wenn ich mir heute überlege, dass dieses Produkt heute wegen seiner Wirkungslosigkeit in die Liste, der nicht von der Krankenkassezurückerstatteten Medikamenten aufgenommen wurde, dann muss ich mich wieder ärgern. Dabei brach ich sofort in Schweiss aus. In kurzer Zeit war ich nass, wie aus dem Wasser gezogen. Da ich wissen wollte, was es mit diesem Produkt auf sich hatte, nahm ich mir den Beipackzettel zur Hand. Als die Stromzufuhr wieder funktionierte erfuhr ich zu meinem Entsetzten, dass dieses Produkt (es waren 10 ccm) in einer Zeitspanne von 10 Minuten, also 1 ccm pro Minute hätte gespritzt werden dürfen. Da der diensthabende Sergeant ein Klassenkamerad von mir war, aus der Primärschule, und er mir diese Hitzebombe verpasst hatte, rannte ich wieder zurück und suchte das Büro, auf, wo er seinen Dienst verrichtete.Er war natürlich nicht froh zu hören, dass er seine Arbeit nicht kunstgerecht gemacht hatte, doch versprach er mir mit gekreuzten Fingern, selbstverständlich bei all den anderen Spritzen gut auf zu passen. Es war mir bewusst, dass der Oberarzt ihm hätte beibringen müssen wie Calcibronat gespritzt werden muss.

 

Jedenfalls sass ich bei der Heimfahrt im PKW auf der hinteren Bank, mit beiden Armen in grellen weissen Bandagen gewickelt. Die Leute, welche an der Strasse standen, bedauerten mich inständig, während meine Kollegen, sich einen Spass daraus machten eine Menge Klosettpapierrollen bei der Vorbeifahrt abrollen zu lassen.Ein Manöver kann auch ohne Kampfeinsatz eine hohe Vielfalt von Facetten haben, bei welchen man seine Lebenserfahrungen ganz sicher fruchtbar erweitern kann.(Verfasst Anfangs Januar 2005 während eines Besuches bei meinem Sohn Mike in Champaign, Illinois, USA).

 

Die Jubiläumsfeierlichkeiten

 

 

Ich hatte im Personalbüro bei der Armee schon eine Menge Namen und Leute kennengelernt, bei den Pfadfindertreffen erweiterte sich der Bekanntenkreis nicht unwesentlich. In diesem Betriebsbüro der Hütte aber in welchem die Namen von mehr als 8000 Leuten zu verwalten war nahm mein Namensgedächtnis gewaltige Ausmasse an. Dabei entdeckte ich dass meine Fähigkeit die Namen von Personen zu speichern wohl aussergewöhnlich gut war, aber sie einer Person zuordnen, das war doch problematisch. Mein Gesichtsgedächtnis ist heute noch super, aber ich habe es nie gelernt meinem Gegenüber seinen richtigen Namen zu geben. Am Gesicht erkennen, auch wenn ich es nur einmal gesehen habe, ist heute noch unkompliziert doch die Namen machen mir Schwierigkeiten. Das Gedächtnis, das bei mir über die Augen aufgebaut wurde und noch immer wird, sehe ich als nahezu phänomenal an. Ich kann mich heute noch an die geringsten Details all meiner Erlebnisse erinnern, selbstverständlich, wenn sie irgendwie relevant waren. Bei der Archivierung meiner Diathek kann ich jedem Bild noch eine Erinnerung zuordnen. Bei Pflanzen, die ich in den Bergen gefunden habe, besonders bei seltenen Exemplaren erinnere ich mich erstaunlicherweise nahezu genau an die Stelle wo ich das Kleinod zuerst gesehen habe. Doch nun zurück zu den Jubiläumsfeierlichkeiten die ich während vielen Jahren nahezu vollständig mit andern gemeinsam, oder aber auch ganz allein zu organisieren hatte.

 

Natürlich kannte ich bald die Belegschaft vollständig bei ihren Familiennamen. Das beruhte auch auf Gegenseitigkeit. Eine so exponierte Berufsstelle bringt es mit sich, dass die Belegschaft den „Mann aus Havanna“ kennt. Das brachte natürlich bei Jubiläumsfeiern immer einige Probleme. Ich hatte mir ja schon sehr früh vorgenommen das Wort meines Vaters, das mir noch immer in den Ohren klingt: „Sauf net mei, wéis de verdréiss“, mein Leben lang zu beherzigen.

 

An diesen Tagen allerdings war es unmöglich so vielen Bekannten und vermeintlichen Freunden die Einladung abzuschlagen, eine Runde mit zu trinken. In dem rechten Augenblick, an welchem ich noch erkennen konnte, dass es mit der Erkenntnis bald zu enden gehen werde, verdrückte ich mich und ging in den ersten Jahren zu Fuss, fuhr aber später mit dem Auto nach Hause, wo meine Frau mich voller Verständnis versuchte mit starkem Kaffe wieder zu stärken. Da ich mir immer bewusst sein wollte, was physiologisch in meinem Körper vor sich ging, hatte ich bald erkannt, dass der Alkohol eigentlich vom Magen aus den Weg in den Kopf fand, und das versuchte ich zu bremsen. Bevor ich den Weg zu diesen Feierlichkeiten und später auch vor anderen Gelegenheiten, wo viel getrunken wurde, tapezierte ich meine Magenwände vorab mit ein oder zwei Portionen Ölsardinen, was meine „Standfestigkeit“ zu meiner Zufriedenheit erhöhte. Die lieben Freunde versuchen es ja immer wieder einem in solchen Fällen recht behilflich zu sein, damit man das pure Glück geniessen könne! So geschah es als ich, gestärkt durch meine Erfahrungen, eine Einladung bei einem guten Freund zu Hause gerne annahm. Wir pröbelten an seinem Weinsortiment. In den Jahren bevor ich meine Erfahrungen gesammelt hatte war ich immer schnell an jenem Punkt angekommen, an welchem ich die Vollbremse betätigen musste, ansonsten ich unter die Räder gekommen wäre. An diesem Tag aber schien er sein Ziel nicht zu erreichen, desto schneller aber sackte er seinerseits in sich zusammen und er verschwand ohne noch ein Wort zu sagen fluchtartig in sein Bett.

 

Seine und meine Frau, sowie auch ich trauten unseren Augen nicht, doch sassen wir noch lang gemütlich zusammen. Kollege Weinkundler aber besänftigte unterdessen die Burgunder und Beaujolais, die Barbera und wie sie alle hiessen, die sich anscheinend nicht zu vertragen schienen.

 

Als wir später in Zolver wohnten, daran erinnern wir beide uns noch, meine Frau und ich, hatte ich einmal den Wagen reibungslos, im wahrsten Sinne des Wortes rück- und bergabwärts zusätzlich seitwärts in die Garage gerollt, dann verliess mich die Standhaftigkeit. Trotz Ölsardinen und vielen essbaren Köstlichkeiten brauchte ich Hilfe, um aus dem Keller ins Obergeschoss zu gelangen.

 

Ich weiss nicht wie meine Nachfolger diesen Teil der Jubiläumsfeierlichkeiten jeweils überstehen werden, aber ich bin eigentlich froh von dieser, eher grausamen Zeit meiner Dienstperiode Abstand gewonnen zu haben.

 

 

 

Der Tag der Entlassung naht, nicht ohne schwerwiegende Ereignisse.

 

 

Ich sollte am Morgen des Samstags, den 8. Januar entlassen werden. Das war das Ende dieser Militärzeit, die überaus vielseitig für mich gelaufen war. Mit Höhen und Tiefen und wie das so üblich war, wurde mir auch noch für die verbleibenden Tage der Offizierdienst aufgebrummt. Ich musste alle diensthabendenSoldatengruppen zum grossherzoglichen Palais bringen, zu verschiedenen Regierungsgebäuden und auch vor die Pforten der Kaserne. Die Tage nach Weihnachten waren mit Nachtdienst belegt und es gab wenig zu schlafen. Das überbrückte ich durch das Trinken von Coke, weil man anscheinend davon nicht einschlafen kann. Doch sollte man solche leichtsinnigen Bemerkungen vorerst prüfen, bevor man ihnen Glauben schenkt. Am Sylvesterabend schrillte das Telefon spät am Abend. Ich nahm ab. Am anderen Ende meldete sich der Kolonell. Er hatte einen Auftrag für die Nachtwache. „Schicken Sie Punkt 1 Uhr in der Nacht einen Wagen zum Bahnhof um meine Familie dort abzuholen, die aus den Winterferien zurückkommt.“ „A vos ordres, mon colonel!“ war meine Antwort, und ich meldete dem Sergeanten vomDienst, was von uns gewünscht wurde. Der Fahrer wurde, um Zeit zu gewinnen, sofort aus dem Schlafraum in der Kaserne nach oben beordert, wo er schnell erreichbar auf der Wache ebenfalls schlafen konnte. Ich war bereits übermüdet und der Sergeant nicht weniger. Er meinte, er möchte sich ein Stündchen hinlegen. Ich solle nur nicht vergessen den Fahrer zu wecken, sobald die Zeit gekommen sei.

 

Es kam, wie es nicht kommen sollte. Auf einmal schrillte das Telefon, und noch bevor ich mir richtig bewusst geworden war, dass ich ebenfalls eingenickt war, hörte ich auf der andern Seite die Stimme des Kolonells. „Ist der Fahrer weg?“ Prompt sagte ich „ja, mon colonel“ obschon der Fahrer noch auf der Matratze lag. Ich rannte in den Pennraum, weckte den Fahrer, half ihm in die Schuhe, knüpfte an seiner Weste, er rannte zur Tür hinaus und von dort aus vernahm ich einen herzerweichenden Schrei: „Sauerei“. Ich rannte zur Tür und konnte nur noch feststellen, dass inzwischen Glatteis gefallen war und der Fahrer bereits auf der Treppe zu stolpern anfing und bis hin zu seinem bereitstehenden Wagen rutschte, glücklicherweise ohne zu fallen. Ich hatte nicht einmal Zeit gehabt um mich nach der Uhrzeit zu erkundigen, da klingelte bereits das Telefon zum zweiten Mal. Ich hörte, wie der Sergeant sagte: „Er ist soeben weggefahren.“ Das war etwas anderes als das, was ich dem Kolonell gesagt hatte. Da wusste ich auch, dass der Fahrer nicht rechtzeitig zum Bahnhof gelangen konnte. Wahrscheinlich hatten die Familienmitglieder dem Herrn Kolonell bereits telefoniert, dass ihr „Taxi“ noch immer nicht angekommen sei. Dann klingelte das Telefon zum dritten Mal. Wieder war es der Kolonell. Da wurde mein Name genannt und dabei ahnte ich bereits Schlimmes. Als der Sergeant wieder aufgelegt hatte, schüttelte er seine Hände, als ob er sie am Hörer verbrannt hätte. Der Kolonell verlangt, dass man dich ab Montag für 8 Tage in den Arrest bringt. Der 1. Januar fiel auf einen Samstag, am 8, also am nächsten Samstag sollte ich entlassen werden. Von Montag den 3. Januar, bis Samstag den 8. Januar waren also nur 5 Tage Vollarrest im Bing auf der Soldatenwache, waren also das Resultat dieser Unterlassungssünde.

 

Ich fühlte mich ungerecht behandelt. Warum wurde ich bestraft, weil der Kolonell wahrscheinlich entgegen seinen Befugnissen einen Militärfahrer als Taxichauffeur seiner Familie, dies also zu privaten Zwecken, beanspruchte. Ich denke so etwas würde es heute nicht mehr geben. Ich ging am Morgen aufs Büro der Kompanie zum Kapitän Welter und vermeldete ihm, was mir zugestossen war. Dabei bedrängte ich ihn, dass ich keinesfalls die Sonntagsmesse dirigieren könne, dass ich aber auch gar nicht in der Küche helfen dürfe und zu aller guten Letzt, dass ich überhaupt meinen Dienst in dieser Woche nicht mehr verrichten könne.

 

Kapitän Welter war nicht der so strenge Vorgesetzte, wie er von vielen Leuten gehalten wurde. Bereits um 11 Uhr liess er mich zu sich kommen. Ich habe erreicht, dass sie erst jeden Abend nach 6 Uhr in die Zelle des Bing auf der Wache müssen. Also schön freundlich die Messe noch dirigieren, am Kochtopfmitwirken, sowie dem Staat noch die letzten Stunden Dienst erweisen, als Eskorte der Wachsoldaten.

 

Ich muss gestehen, dass dieses Angebot passabel war, denn aus Erfahrung wusste ich, dass die Wachkontrollen erst nach 20.00 Uhr auf dem Wachposten erschienen und während der Nacht nicht ein einziges Mal. So war es angenehm auf der Wache noch bis kurz vor 20.00 Uhr mit den Kameraden Karten zu spielen. Dabei hörten wir die Sendung des Soldatensenders mit Pol Leuk. Man solle mich dann aber vorsichtshalber wieder einsperren, mich und noch einen anderen, den es anderswie erwischt hatte,um dann später in der Nacht weiter zu sehen, was sich noch tun lässt.

 

Dummerweise untersuchte der Nachtdienst die Schlafecke nach Zigaretten, denn diese waren verboten, dabei fand er einen Gedichtsband von Eduard Mörike, der alsdann konfisziert wurde, aber auf der Wache liegen blieb. So konnte ich die „Kerkerung“ ziemlich ungequält überstehen.

 

Ich habe jede Nacht dort gut geschlafen, auf einem einfachen Strohsack, beim Zigarettenqualm der Wachsoldaten und dem lauten Lärm, verursacht durch das ständige ein und aus der Wachhabenden, die lauten Gespräche am Telefon. Ich hatte nur noch einen Wunsch so schnell wie nur möglich entlassen zu werden, um wieder daheim zu sein.

 

Schnell war es Samstag.Noch vor Mittag konnte ich die Kaserne in Uniform verlassen. Das Erste was zuhause geschehen würde, war sofort Zivilkleider anziehen.

 

Als ich noch vor Mittag zuhause eintraf, hatte meine Mutter mir eine Riesenschüssel von meinem Leibgericht zubereitet. Es gab Makkaroni mit Tomatensosse. Herrlich! Endlich wieder zu Hause. Endlich wieder im eigenen Bett schlafen. Endlich die Geliebte jeden Tag sehen und mit ihr sprechen, sich liebkosen. Dieser Lebensabschnitt schien überschwellend prall zu sein von Glückseligkeiten.